Jurybegründung 2019
Seit über 40 Jahren untersucht die amerikanische Konzeptkünstlerin Barbara Kruger in großformatigen Bildern, Installationen, Videos sowie mit Werken im öffentlichen Raum die komplexen Zusammenhänge zwischen Macht und Gesellschaft. Ihre Arbeiten verstehen sich als kritische Interventionen, mit denen sie die Abgründe des kapitalistischen Systems und die trügerischen Verlockungen des Konsums aufdeckt. Sie gehört zur ersten Generation feministischer Künstlerinnen, die in den 1980er Jahren weltweit Beachtung fanden, und sie genießt bis heute große internationale Anerkennung.
Der Fokus ihres Werks richtet sich auf den wirkmächtigen Bereich der Massenmedien und der Werbeindustrie. Zentral erscheint die Frage, inwieweit der allgegenwärtige Konsumismus der westlich-kapitalistischen Gesellschaft zu einer entscheidenden Kraft geworden ist, die nicht nur unsere Entwicklung bestimmt, sondern auch die der Räume, in denen wir uns bewegen. Barbara Kruger arbeitet daher immer wieder mit Architekten zusammen. Ihre Arbeiten machen die latente Gewalt der Konsumgütermärkte sichtbar, die Weltanschauungen, Geschlechterrollen und Verhaltensmuster der Menschen nach ihren Maßstäben formen. Lange bevor die „mediale Wende“ des Internetzeitalters geläufig wurde, analysierte Barbara Kruger mit bestechender Klarheit, wie unsere Mediennutzung auf eine uns selbst weitgehend unbewusste Weise unsere Identität und unser Empfinden prägt.
Ende der 1970er Jahre entwickelt die 1945 in Newark, New Jersey, geborene Künstlerin mit ersten Text-Bildcollagen in ihrem New Yorker Studio ihre unverwechselbare Bildsprache. Im Copy and Paste-Verfahren entnimmt Kruger Fotografien aus verschiedenen Medien, die sie beschneidet, vergrößert und mit prägnanten Aussagen, Anrufungen, Bitten oder provokanten Fragen kombiniert. Zu ihren populärsten Werken gehört „I shop therefore I am“ von 1984, in dem sie dem heutigen Konsumenten in ironischer Manier den Status eines cartesianischen Subjekts zuweist. Unausweichlich wird der Betrachter in ihrem Werk mit Stereotypen und Klischees von Macht, Konsum, Sexualität und Ideologie konfrontiert. Subversiv nutzt Barbara Kruger die bildnerischen und psychologischen Strategien der Werbung, deren Gestaltungsmittel und verführerische Wortwahl sie übernimmt, um sie zu unterwandern und zu entlarven. Die provokante und zuweilen aggressive Wirkung der Kunst von Barbara Kruger beruht nicht zuletzt auf ihrer Verwendung der Signalfarben Rot, Schwarz und Weiß, ebenso wie auf den zu ihrem Markenzeichen gewordenen Schriftarten Futura Bold und Helvetica Ultra Condensed. Die eigentliche Schlagkraft ihres Werks basiert im Unterschied zur Werbung jedoch auf der prinzipiellen Offenheit ihrer Slogans, aus der sich für den Betrachter vielfältige Interpretations- und Assoziationsebenen ergeben.
Seit der Übersiedlung nach Los Angeles in den 1990er Jahren verzichtet Barbara Kruger mehr und mehr auf Text-Bild-Collagen zugunsten raumfüllender Installationen mit typografischen Blöcken an Wänden, Decken und Fußböden in Museen, Galerien und anderen städtischen Gebäuden. Um eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen, verlässt Kruger häufig den Kunstkontext und arbeitet zunehmend im öffentlichen Raum, wo sie Reklametafeln, Plakatwände, Plätze, U-Bahn-Höfe oder öffentliche Verkehrsmittel als Bildträger nutzt. Schon früh hat sie zudem Buchtitel, Poster, Zeitungsinserate oder T-Shirts entworfen, wobei sie auf Erfahrungen als Grafikdesignerin vor Beginn ihrer künstlerischen Karriere zurückgreifen konnte.
Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit beweist sie als Autorin kritischer Essays, als Kuratorin von Ausstellungen, Herausgeberin von Aufsatzsammlungen und als Hochschullehrerin hohes gesellschaftliches Engagement.
Barbara Kruger hat den künstlerischen Diskursen um Feminismus, Politik und neue Medien wegweisende Impulse gegeben. Die formale Prägnanz und inhaltliche Stringenz ihrer Arbeiten ließ sie zum „role model“ für eine jüngere Künstlergeneration werden.